Hauer I

 

Josef Matthias Hauer

1883–1959

 

Klavierwerke (I)

1913–1923

 

 

Sieben kleine Stücke
op. 3
Frühling 1913

Rudolf Wondracek gewidmet

 I. Viertel = 60
II. Viertel = 48
III. Viertel = 100
IV. Viertel = 64
V. Viertel = 40
VI. Viertel = 60
VII. Viertel = 72

 

Nachklangstudien
op. 16
28. und 29. Mai 1919

Anna Höllering gewidmet

I. Freier Vortrag
II. Sehr gebunden, langsam und leise
III. Eigensinnig
IV. Pendelnd, wiegend, unrhythmisch, leise
V. Hüpfend, mäßig bewegt

 

Nomos
op. 19
25.–29. August 1919

Frau Agathe Kornfeld gewidmet

 

Klavierstücke mit Überschriften
nach Worten von Friedrich Hölderlin
op. 25
22. August bis 11. Oktober 1923

Herrn Erich Köchert zugeeignet
 


1.
Deine Wellen umspielten mich.
Der Nekar

2.
Um die grauen Gewölke streifen rötliche Flammen dort.
Des Morgens

3.
Seid gegrüßt, ihr zufluchtsvollen Schatten,
ihr Fluren, die ihr einsam um mich ruht!

Die Nacht

4.
Ihr Wälder schön an der Seite am grünen Abhang gemalt.
Der Spaziergang

5.
Lächelnd über Silberwolken neigte sich segnend herab der Äther.
<Geh unter, schöne Sonne>

6.
Wohl gehn Frühlinge fort, ein Jahr verdränget das andre.
Menons Klagen um Diotima

7.
In seiner Fülle ruhet der Herbsttag nun.
Mein Eigentum

8.
Wo die Meerluft die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald durchsäuselt.
Der Nekar

9.
Vom Himmel lächelt zu den Geschäftigen
durch ihre Bäume milde das Licht herab.

Mein Eigentum

10.
Doch, wie Rosen, vergänglich war das fromme Leben.
Mein Eigentum

11.
Die Schwärmerische, die Nacht, kommt voll mit Sternen.
Brod und Wein

12.
Anmut blühet, wie einst.
Heimkunft

13.
Verloren ins weite Blau.
Hyperion (Fragmente)

14.
Aber schwer in das Tal hing die gigantische, schicksalskundige Burg,
nieder bis auf den Grund von den Wettern zerrissen.

Heidelberg

15.
Beweglicher eilt schon die wache Quelle.
Des Morgens

16.
Und ihr drängt euch aus der kräftigen Wurzel.
Die Eichbäume
 

Unter den Titeln die Gedichte und Werke Hölderlins,
aus denen Hauer die Überschriften wählte.
 

 

Kommentare

 

Zur weiteren Information

 Buchpublikation Fürsprache für Hauer
Aufsätze über Hauer: CD-Einführungstext
J. M. Hauers »Harmonie der Sphären«
Hauers wiederentdeckte Schrift »Zwölftonmusik«
Aufsatz im Internet: Josef Matthias Hauers »Musik der Sphären«
Schallplatteneinspielung (WERGO)
„Und Nebel steigen, die dort schliefen.“ Johann Ludwig Trepulkas wiedergefundenes Klavierstück nach Nikolaus Lenau und sein Klavierzyklus op. 2

 

 K o m m e n t a r e

Während meiner Einstudierung von Klavierwerken Arnold Schönbergs für die 1995 bei Wergo erschienene Schallplattenveröffentlichung ergänzte ich wie gewöhnlich die interpretatorische Ausarbeitung durch eine umfängliche Sichtung von Primär- und Sekundärquellen, mit der ich mir einen Überblick über die geschichtlichen und kompositorischen Hintergründe des zu erlernenden Repertoires verschaffen wollte. In diesem Zusammenhang fand ich immer wieder Josef Matthias Hauer erwähnt, dessen Namen mir zwar vertraut war und um dessen Prioritätsstreit mit Schönberg um die Erfindung der Zwölftontechnik ich wusste, dessen Musik mir bisher jedoch weder aus Noten noch Aufführungen oder Tondokumenten bekannt war.

Was ich hier an Einzelheiten über Hauers Leben und Werk erfuhr, weckte meinen Wunsch, die Lücken zu schließen und vor allem die Klavierkompositionen Hauers kennen zu lernen, von denen es, wie sich bald zeigte, eine große Anzahl gab. So trug ich aus Bibliotheken und über Verlage alles an Musikalien, Büchern, Artikeln und Aufsätzen Erhältliche zusammen, las Hauers eigene Schriften und ging schließlich auch am Klavier seine Partituren mit wachsendem Interesse durch. Ich traf auf Kompositionen, die zwar einen ähnlichen historischen und technischen Ansatz hatten wie die Werke der Zweiten Wiener Schule, in denen sich aber binnen weniger Jahre ein eigener, unverwechselbarer Stil ausbildete, der mit Schönbergs Arbeit nur wenig zu tun hatte. Ob man diese Musik mochte oder nicht – sie war anders als alles, was damals komponiert wurde.

In der zeitgenössischen Literatur über Hauer waren Anerkennung und Wertschätzung eher die Ausnahme. Häufiger begegnete man Vorbehalten und einem überheblichen, mitunter gar höhnischen Ton, sobald Hauers Person, Ideen oder künstlerische Leistungen zur Sprache kamen. Dies war nicht nur bei den Ewiggestrigen, den geschworenen Gegnern aller Moderne der Fall, sondern galt gleichermaßen für die irritierten Anhänger Schönbergs, die um die Vorherrschaft ihres Idols besorgt schienen. Nach hartem Tadel an der »reichlich fragwürdigen« Partitur schloss Theodor W. Adorno 1927 seine Besprechung der Uraufführung von Hauers Siebenter Suite für Orchester immerhin mit der Feststellung, dass »sein [d. h. Hauers] Dilettantismus gegen sehr vieles übliche Können zu verteidigen sei«. Unverblümter fiel Alban Bergs Urteil aus, nachdem er 1923 Hauers persönliche Bekanntschaft gemacht hatte: »ein armer Narr in des Wortes vollster Bedeutung. Arm über alle Maßen und närrisch über alle Maßen.« Professionalismus war der Schönberg-Schule vorbehalten, und Narren (à la Wozzeck) bedauerte man lieber auf der Opernbühne als im wirklichen Leben.

H. H.

 

Auch wenn Josef Matthias Hauer im Vergleich zu Schönberg heute der weitaus Unbekanntere ist, entwickelte er noch vor diesem (1919) eine eigene Zwölftontechnik, die sich an die Maxime hielt, ein Ton der Zwölftonreihe dürfe erst nach dem Auftreten der übrigen elf Töne wiederholt werden. Allerdings verwendete Hauer diese Technik in völlig anderer Weise als Schönberg. Er neutralisierte die Rhythmik seiner Werke weitestgehend und verzichtete auf Lautstärke-, Tempo- und Vortragsbezeichnungen, so dass die interpretatorische Einfühlung in die Linienführung und das Fließen der Melodien (das »Melos«) ganz in der Vordergrund treten konnte. Anders als Schönberg klammerte Hauer die überlieferten Dur- und Moll-Dreiklänge in seiner Atonalität nicht aus, sondern integrierte sie, so dass die Unterschiede beider Komponisten trotz einiger Gemeinsamkeiten bereits nach wenigen Takten auffallen. Das Klavier gehörte zunächst zu Hauers bevorzugten Instrumenten, da seine temperierte, in genau gleich große Stufen unterteilte Stimmung der Idee der Gleichberechtigung der zwölf Töne ideal entsprach.

Friedrich Hölderlin, auf den ihn sein Jugendfreund, der Philosoph Ferdinand Ebner hingewiesen hatte, war jener Dichter, dessen Werke Hauer immer wieder zu Vertonungen inspirierten. In den sechzehn kurzen Klavierstücken mit Überschriften nach Worten von Friedrich Hölderlin op. 25 aus dem Jahre 1923 stellte Hauer jedem Stück aphoristisch eine oder zwei Zeilen aus verschiedenen Gedichten und Fragmenten voran, die in ihrer naturhaften Mischung aus Konkretheit und Vieldeutigkeit eine eigenartige Verbindung mit der genau strukturierten, doch stets melodisch geführten Zwölftonmusik eingehen.

H. H.
(VI/2002)

 

 

 

Letzte Änderung:  Montag, 14.1.2019
© 2000–2019 by Herbert Henck