Antheil – Nancarrow – Ruggles
Amerikanische Klaviermusik des 20. Jahrhunderts
1921–1943
Carl Ruggles 1876–1971
Evocations, Four Chants for Piano 1937–1943, revid. 1954
I. Largo (1937) – »To Henriette Miller« II. Andante con fantasia (1941) – »To John Kirkpatrick«
III. Moderato appassionato (1943) – »To Charlotte« IV. Adagio sostenuto (1940) – »To Charles E. Ives«
Kommentar
Conlon Nancarrow 1912–1997
Three Two-part Studies ca. 1940/41 »for Jürgen [Hocker], a dearest friend,
who found this score in the dust of my studio«
Prelude
1935 Allegro molto
Blues 1935 Slow Blues Tempo
Kommentar
George Antheil 1900–1959
Piano Sonata No. 2 – “The Airplane”
1922 I. To be played as fast as possible II. Andante moderato
Sonatina – “Death of [the] Machines”
1923 I. Moderato, II. Accelerando, III. Accelerando, IV. Accelerando / Tempo I
Sonatina für Radio 1929 Allegro moderato
(Little) Shimmy Oct. 3, 1923
»für mein nur Einziger Böskè« [sic]
Sonata Sauvage 1922/23
Mechanisms 1922/23 1. Mechanism interrhythmic, 2. Mechanism cubistic
3. Mechanism eliptic interrythmic, 4. Mechanism eliptic 5. Mechanism psychoeleptic, 6. Mechanism sensuroeliptic 7. Mechanism planetary
A Machine
1932/33 [= No. XLIV aus «La Femme 100 Têtes» after Max Ernst]
Jazz Sonata 1922/23 as rapidly as it is possible to execute cleanly and with even touch and dynamics – like a player-piano
Kurzkommentare
Konzertdauer: ca. 90 Minuten (inklusive Pause) Schallplattenaufnahmen (ECM): siehe Nancarrow und Antheil Booklet-Text der CD zur Einführung
Rundfunksendung über Antheil
K o m m e n t a r e
Carl Ruggles
Ruggles gehört zusammen mit Charles Ives zu den herausragenden amerikanischen Pionieren der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts. Die beiden Komponisten kannten und schätzten einander sehr, und jeder hielt den anderen für den bedeutendsten lebenden Komponisten, auch wenn ihre Werke nur in seltenen Fällen aufgeführt wurden. Ruggles’ Œuvre ist im Vergleich zu dem von Ives nur klein, da er außerordentlich selbstkritisch war und nicht müde wurde, seine Partituren in langwieriger Arbeit so lange zu verfeinern, bis das Notenbild seinen Vorstellungen entsprach. Auch in den Evocations, seiner einzigen Komposition für Klavier solo, ist sein Drang zu minutiöser Bestimmung von dynamischen, rhythmischen und agogischen Unterschieden zu beobachten. Ruggles’ Sprache lebt ganz aus der Dissonanz, die jedoch nichts Gewaltsames hat, sondern sich in einer Art Organik wie von selbst aus der Stimmführung großer melodischer Bögen ergibt. (H. H.)
Conlon Nancarrow
Conlon Nancarrows Prelude und Blues, die der Komponist beide dreiundzwanzigjährig in Boston komponierte, sind seine ersten erhaltenen Kompositionen für Klavier, zugleich
auch seine ersten gedruckten Werke. Sie erschienen 1938 zusammen mit Nancarrows Toccata für Violine und Klavier als Januarheft der von Henry Cowell gegründeten und herausgegebenen Reihe New Music. A Quarterly of Modern Composition (Vol. 11, No. 2).
Am Ende der Ausgabe befindet sich die biographische Notiz: »Conlon Nancarrow – Geb.: 27. Oktober 1912, Texarkana, Arkansas. Studierte zwei Jahre am Cincinnati Conservatory.
Spielte Trompete in mehreren Jazz-Orchestern. Studierte später bei Nicholas Slonimsky, Walter Piston und Roger Sessions. Beim Bostoner WPA [Works Progress Administration]
für etwa zwei Jahre beschäftigt. Ging 1936 nach Europa. Seit seiner Rückkehr arbeitslos. Ging im Mai 1937 nach Spanien, um dort den Faschismus bekämpfen zu helfen.«
Nancarrows Three 2-part Studies for piano sind nicht datiert, doch dürften sie Anfang der
vierziger Jahren in zeitlicher Nähe seiner Sonatina (1941) komponiert sein. Die drei kurzen Stücke enthalten bereits alles, was Nancarrows wenige Jahre später einsetzende Arbeit
mit dem Player Piano auszeichnet: Kanonformen, rasche Tempi, präzis akzentuierte Rhythmik und klavieristische Brillanz. Das Werk wurde von Jürgen Hocker in Nancarrows
Studio in Mexico City entdeckt und dem Finder am 17. April 1990 mit der Aufschrift gewidmet: »For Jürgen, a dearest friend, who found this score, forgotten in the dust of my
studio, affectionately – Conlon« (Für Jürgen, einen liebsten Freund, der diese Partitur, vergessen im Staub meines Studios, wiederfand, herzlich – Conlon). (H. H.)
Georges Antheil
George Antheil gehörte zu den begabtesten und vitalsten Komponisten in den zwanziger
Jahren. Äußerst wirkungsvoll setzte er die moderne Ästhetik der Maschine in seiner Klaviermusik um und durchdrang sie zugleich mit Elementen des Jazz – in beidem
Vorläufer Nancarrows. Ausgehend von der Musik Strawinskys entwickelte er einen perkussiven und repetitiven Klavierstil, der vielfach mit Clustern und Glissandi arbeitet oder
die Hände nach Tastengattungen trennt. Gegenüber der Schule Schönbergs oder Hauers Ansatz, bei denen sich eine eher abstrakte, konstruktivistische Ästhetik ausbildete,
betonte Antheil gerade die körperlichen, sinnlichen Vorgaben der Instrumente. Er fand sein Material nicht durch komplexe theoretische Überlegungen, sondern nahm, was in Gestalt
weißer und schwarzer Tastenreihen vor ihm lag und sich auch ohne Rücksicht auf ihren historischen Ursprung getrennt bespielen ließ. (H. H.)
Letzte Änderung: Samstag, 14. Juni 2014
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